Rede Pfarrer Monn Berlin-Buch

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitchristen! Buch, November 2013

 

Anläßlich der heutigen Pflanzung von drei Korbinian-Apfelbäumen, hier bei der Hobrechtsfelder Chaussee auf dem Gelände des Dr. Heim-Krankenhauses, gedenken wir der vielen Opfer in den Jahren 1939 bis 1945 unter der Herrschaft des NS-Regimes.

 

Gerade Kinder, Mütter, junge Leute und auch besonders viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Buch und Umgebung starben aufgrund völkerrechtswidrigen Verbrechen einer totalitären Gesinnung. Unmenschliche Bedingungen, Hunger und Kälte, bis hin zur Euthanasie waren die Gründe für so viel Leid und Tod.

 

Die Rassenideologie gab vor, wer Lebenswert, weniger Wert oder sogar nicht Lebenswert war. Man bedenke: fast alle Zwangsarbeiter - darunter auch Kinder und Kleinkinder mit ihren Müttern - wurden aus den eroberten Gebieten, vorzugsweise aus Osteuropa, verschleppt und zu harter Arbeit gezwungen - Polen, Russen, Juden und andere.

 

Als 1942 die militärische Lage sich verschlechterte, wurden die Umstände für sie noch bedrohlicher. Gerade die Schwächsten unter ihnen litten bitterlich und ihr Kampf ums Überleben war umsonst.

 

Ich möchte von unserer Überzeugung und unserem christlichen Glauben einige Gedanken dazu zum Ausdruck bringen:

 

Wenn der Mensch - damit ist auch eine Gruppe von Menschen mit einer gemeinsamen Absicht gemeint - gegen die Vernunft, die Wahrheit und das rechte Gewissen verstößt oder mit anderen Worten: wenn der Mensch sich gegen die wahre Liebe zu Gott und zum Nächsten stellt, aufgrund einer irrigen Anhänglichkeit an gewisse Güter, so verletzt er die Natur des Menschen und die menschliche Solidarität.

 

Sich versündigen heißt: ein menschliches Wort, eine Tat oder ein Begehren im Widerspruch zum ewigen Gesetz. Das gilt auch der Unterlassung; aus Feigheit, Angst oder durch Vertuschen unterlassen wir Widerrede, Gegenmaßnahme und Aufklärung.

 

Zum Himmel schreien die Sünden - wie die hl. Schrift sagt - das Blut Abels (des Gerechten), die Sünden der Sodomiten (der Ruchlosen), das laute Klagen des in Ägypten unterdrückten Volkes und die Klage der Fremden, Witwen, Waisen und der den Arbeitern vorenthaltenen Lohn.

 

Als Frau Rosmarie Pump vor zwei Monaten in der kath. Kirche in Buch ihren Vortrag „Ein Ort schweigt“ - gleich dem heutigen Thema - hielt, fiel mir das Kreuz mit dem darauf gekreuzigten Heiland über ihr hängend auf.

 

Gott sandte seinen eigenen Sohn, der ohne Sünde war, damit er die Schuld der Welt durch ein einziges, wahres Opfer für alle Zeiten hinwegnimmt und entsühnt. Der Mensch würde sonst mit seiner Schuld den Tod verdienen; aber durch den Glauben an den auferstandenen Herrn, der die unergründlichen Liebe Gottes offenbarte, darf gerade der Mensch Heil und Leben erfahren.

 

Ich denke, das Pflanzen der Apfelbäume steht symbolisch für Leben, für das Leben der Opfer aber auch für das Leben derjenigen, die Schuldig geworden sind. Vergessen wir nicht das Geschehene, aber sind wir auch keine Richter; Richter ist nur einer. Lenken wir unsere Blicke auf diese Bäume: Sinnbild vielleicht für das grüne Holz des Kreuzes – das ewige Leben. 

In Buch erinnert ein Gedenkstein in der Hobrechtsfelder Chaussee an Tausende ehemaliger Patienten der Bucher Krankenanstalten, die unter dem NS-Regime verschleppt und getötet wurden. Das Mahnmal war am Volkstrauertag 2012 in der Hobrechtsfelder Chaussee enthüllt worden. 

Zum einjährigen Bestehen des Denkmals werden 3 Korbinian Aigner (1885-1966) Apfelbäume rund um das Denkmal gepflanzt.

Es sprechen der Bürgermeister von Panketal, Rainer Fornell und Pfarrer Monn, katholische Kirche Mater Dolorosa. Musikalisch wird die Feierstunde von Musikern der Staatskapelle Berlin, dem Spatzenchor der Marianne Buggenhagen Schule und von Martin Blaschke, Jakob und Johanna Pumb begleitet. Bildhauer Rudolf J. Kaltenbach und Silvia Christine Fohrer.

Ort: Hobrechtsfelder Chaussee 150, 13125 Berlin-Buch

Es sprachen der Bürgermeister von Panketal, Rainer Fornell und Pfarrer Monn, kath. Kirche Mater Dolorosa.

Musikalisch wurde die Feierstunde von Musikern der Staatskapelle Berlin, dem Spatzenchor der Marianne Buggenhagen Schule und von Martin Blaschke, Jakob und Johanna Pumb begleitet.

 

 

 

 

 

Überblick

Die Geschichte des Berliner Vorortes Berlin-Buch spiegelt in hohem Maße die Medizingeschichte des 20. Jahrhunderts mit all ihren Höhen und Tiefen in Deutschland wider.

Auf vieles kann mit Stolz zurückgeblickt werden und gerne wird auch erwähnt, dass in den ersten vier Jahrzehnten des vorigen Jahrhundert auf Bucher Territorium einmal die größten Krankenanstalten Europas, wahrscheinlich der gesamten Welt, ihren Standort hatten.

Mit Hilfe des Internets braucht es nur ein paar Stunden Geduld um festzustellen, dass die größte deutsche psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt, eröffnet 1906 auf damals noch Brandenburger Gebiet, ebenfalls in Buch beheimatet war.

Sie wurde am 31.10.1940 geschlossen. Fast alle Patienten sind im Rahmen der von einigen wenigen Männern der NS-Regierung ohne jede gesetzliche Grundlage angeordneten „Aktion Gnadentod“ im selben Jahr in Tötungseinrichtungen verlegt und ermordet worden.

Die sogenannte >wilde Euthanasie< wurde bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges fortgesetzt und ist in Buch an Hand der überdurchschnittlich hohen Zahl der Sterbeurkunden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Bei vorsätzlichen Tötungen von Patienten wurde eine der Grunderkrankung nahe Todesursache auf der Sterbeurkunde vermerkt.

An den Vorbereitungen der Mordaktion, getarnt als „Gnadenakt“ an chronisch Kranken, waren NSDAP treue Mediziner maßgeblich und beratend beteiligt. Zu ihnen gehörte auch der Ärztliche Direktor der Bucher Heil- und Pflegeanstalt, Dr. Wilhelm Bender. Keiner von ihnen widersprach dem mörderischen Vorhaben.

Nach dem Ende des verheerenden Zweiten Weltkrieges und dem Untergang der nationalsozialistischen Regierung wurden die Krankenanstalten in Berlin-Buch neu strukturiert und moderne Fachkliniken eingerichtet.

Die DDR-Regierung beschloss Anfang 1960, die Bucher Kliniken zum „Flaggschiff“ der DDR-Medizin zu formieren und erneut zu Europas größtem Krankenhausstandort zu entwickeln.

Ein Rückwärts gewandter, kritischer Blick war nicht gefragt. Er wurde weder von den Einwohner von Buch, noch den Mitarbeitern der Gesundheitseinrichtungen gefordert. Diese Haltung wird eindeutig durch Archivmaterial des Staatssicherheitsdienstes der DDR und der Staatsanwaltschaft Berlin aus den Jahren 1965 bis 1968 belegt.

Bis heute haben es die verantwortlichen Institutionen versäumt, die Geschichte der NS-Zeit und die an Patienten begangenen Verbrechen in Buch aufzuarbeiten.

Lediglich für die kindlichen Opfer der Hirnforschung wurde im Herbst des Jahres 2000 auf der Anlage des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin am Lindenberger Weg, es ist der ehemalige Standort des Kaiser-Wilhelm-Institutes für Hirnforschung, ein berührendes Mahnmal der Bildhauerin Franziska Schwarzbach für die >Toten Kinder< enthüllt.

Wie viele Wissenschaftler in der NS-Zeit hatten auch die Mitarbeiter dieses Institutes wenig oder keine Hemmungen die Gehirne von behinderten Menschen, die unter biologistischen und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten von Medizinern ausgesondert und zu tausenden zur Tötung ausgewählt wurden, für die Forschung zu nutzen.

Ebensowenig wurde dem Schicksal von mehr als tausend Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen nachgegangen, die in Bucher Lagern oder Kleinbetrieben untergebracht waren. Viele von ihnen arbeiteten in den Bucher Krankenhäusern, dem Werk Buch und in der Landwirtschaft.

Besonders schwer war die soziale Situation der Ost-Arbeiter. Aber „Wir waren immer gut zu denen“, so haben es die wenigen, heute noch lebenden Zeitzeugen in Erinnerung.

Über 400 Zwangsarbeiter und deren Kinder aus Lagern in Berlin und der näheren Umgebung starben in Bucher Kliniken.//

Ein weiteres, bisher unbeachtetes, totgeschwiegenes sowie unerforschtes Thema ist das Schicksal einer großen Zahl chronisch kranker Patienten, die von Buch aus, getrennt von ihren Angehörigen und in fast allen Fällen gegen ihren Willen, unter unmenschlichen Transportbedingungen in schlecht ausgestatte Heime östlich der Oder verlegt wurden.

Im eiskalten Winter Anfang 1945 wurde angesichts der vorrückenden Roten Armee das deutsche Pflegepersonal nach Berlin-Buch zurück beordert und die Patienten ihrem Schicksal überlassen.

Die Geschichtsschreibung hat sie vergessen.

2003/2004 bemühte sich eine kleine private Gruppe, Frau Dr. Hannelore Dege und Rosemarie Pumb, mit Unterstützung des Leiters Akademie der Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V., Herrn Jens Reinwardt, sowie neun angehenden Ergotherapeuten, Schüler der zuvor genannten Akademie, an die von Medizinern und Pflegepersonal tausendfach an Patienten verübten Verbrechen mahnend zu erinnern und gleichzeitig der Frage nachzugehen, welche sozialen, ökonomischen und politischen Gegebenheiten die einst erlernten, moralisch-ethischen Grundsätze der Täter und Mittäter so weitgehend außer Kraft setzen konnten, dass die Tötung ihrer Patienten (oder die Mithilfe an ihrem Tod) zu einem alltäglichen Geschäft geworden ist. Im Ergebnis der Arbeit dieser kleinen Gruppe konnte mit privaten Mitteln eine bescheidene Gedenktafel, eine Broschüre >In den Tod geschickt< und die heute leider nur noch rudimentär vorhandene Dauerausstellung zum Thema „Euthanasie“ auf den Weg gebracht werden. Rosemarie Pumb hat zwei weitere Schülerprojekte am früheren Gauß-Gymnasium in Buch initiiert und ein weiteres Projekt der Hufeland-Schule begleitet. Im Februar 2012 veröffentlichten Rosemarie und Johanna Pumb >Ein Ort schweigt, die Geschichte der Krankenanstalten Berlin-Buch<. Die Publikation beruht auf der Auswertung von etlichen 10 000 Bucher Sterbeurkunden und weiterem, umfangreichen Archivmaterial des Bundes- und Landesarchivs Berlin, der Wehrmachtsauskunftsstelle, des Friedhofarchivs Berlin-Pankow, von Kirchenarchiven, Archivmaterial des Hauptlandesarchivs Mecklenburg und der Bundesbehörde für Unterlagen der Staatsicherheit.

Wie unverständlich ist heutzutage nicht nur die damalige, fast widerspruchslose Anpassung der Ärzte und des Pflegepersonals an die unmenschliche, durch kein Gesetz gestützte Forderung der NS-Regierung, „unwertes Leben“ auszusondern und zu töten. Das Leben von tausenden Bucher Patienten wurde durch sie willkürlich und vorsätzlich beendet. Hinter einigen Namen in den alten Aufnahmebüchern der Bucher Heil- und Pflegeanstalt (Landesarchiv Berlin) findet sich der Hinweis >verlegt auf höhere Anordnung< . Die „Verlegungen“ erfolgten in Tötungseinrichtungen. Wer sich hinter der „höheren Anordnung“ verbirgt, ist bis heute nicht geklärt.Während der DDR-Zeit war die NS-Vergangenheit der Bucher Krankenhäuser für die Staatssicherheit der DDR und die Berliner Staatsanwaltschaft ein Thema, das nicht in die Öffentlichkeit getragen wurde. (Unterlagen der BstU) Auf den guten Ruf der Bucher Kliniken sollte kein Schatten fallen. Die Bildhauer Silvia Fohrer und Rudolf Kaltenbach waren von den Geschehnissen in den Bucher Krankenanstalten während der NS-Zeit außerordentlich betroffen. Sie beschlossen, für die ungezählten Opfer ein öffentliches Mahnmal zu errichten. Es ist das erste Denkmal im Ort, das nach fast einem Menschenleben an die während der NS-Zeit verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit erinnern soll und gleichzeitig die Frage nach der eigenen Kraft zum Widerstand, sowie zur eigenen Bereitschaft, Schwächere zu schützen, an den Betrachter stellen möchte.

 

Rosemarie Pumb am 16.11.2012

 

 

Einweihung des Denkmals für die Opfer der Euthanasiemorde in der NS-Zeit am 18.11.2012 in Berlin-Buch beim den ehem. Dr. Heim Heilstätten, Hobrechtsfelder Chaussee 150, 13125 Berlin-Buch, gegenüber dem jetzigen Allées des Cháteaux.

Zum einjährigen Bestehen des Denkmals Pflanzung von 3 Korbinian Aigner (1885-1966) Apfelbäumen rund um das Denkmal am 17.11.2013 um 14.00 Uhr.

Das Attentat von Georg Elser am 8. November 1939 nahm Aigner zum Anlass, am 9. November im Religionsunterricht über das Fünfte Gebot (Du sollst nicht töten) zu sprechen. Dabei fiel auch der Satz „Ich weiß nicht, ob das Sünde ist, was der Attentäter im Sinn hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden“. Dieses Zitat Aigners wurde denunziert. Am 22. November wurde Aigner verhaftet und ins Gefängnis Freising gebracht.

(Am 3. Oktober 1941 wurde er als Häftling Nr. 27.788 nach Dachau verlegt und dort im Priesterblock untergebracht. In Dachau leistete er seine Zwangsarbeit hauptsächlich in der Landwirtschaft. Zwischen zwei Baracken pflanzte er Apfelbäume, und es gelang ihm sogar die Züchtung der neuen Sorten KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4. Von diesen Sorten blieb bis 2012 nur die Sorte KZ-3 erhalten.) 

Daten zum Denkmal:

Maße

1.70 x 3.30 x 1.70

portugiesischer Granit und afrikanischer Nero Assoluto

 

Standort

 

52.65198° N

13.48904° E